Donnerstag, 26. Februar 2009

Toni macht ein Tor.


Wo spiegelt sich der intellektuelle Status einer Gesellschaft am eindrucksvollsten wider? Na klar: Im Volksmund. Aber wo findet man den noch? Da heißt es suchen, und irgendwann wird man auch fündig, beispielsweise im Forum eines Internet-Sportportals. Der Liveticker informiert über das Champions-League-Spiel Sporting Lissabon gegen Bayern München. Kaum 10 Minuten nach dem Anpfiff sind verblüffenderweise bereits über 70 Kommentare aufgelaufen. Und was wäre der Mensch ohne Neugier: Natürlich guckt man mal hinein um herauszufinden, was es denn da bereits zu kommentieren gibt. Und schon hat man ihn gefunden, den Volksmund, während gleichzeitig die grelle rote Laterne der Pisa-Studie als vergleichsweise schwach glimmendes Lichtlein im Hintergrund verkümmert.
Zu Beginn klingt noch Besorgnis durch: „Wer glaubst du wird als erster ein Tor der beiden­ Mannschaften schießen.“ Und als Unbeteiligter fragt man sich, welcher grammatikalische Fehler in dieser Frage steckt. Hat jede Mannschaft mehr als ein Tor dabei? Kann man das entsprechende Tor behalten, wenn man es trifft?
Nun ja, egal. Die Antwort und der Trost folgt sogleich: ”heute wird gewonnen toni macht das erste tor“. Das klingt beruhigend, nicht nur für Bayern-Fans. Wenn man voraussetzt, dass man für ein Fußballspiel mindestens zwei Tore braucht, eins hüben und eins drüben, dann ist es schon sehr lobenswert, das zumindest Toni darüber nachgedacht hat und das erste Tor macht. Fragt sich nur, wer sich dazu bereit erklärt, dass zweite zu machen, damit das Spiel dann ordnungsgemäß absolviert werden kann. Vielleicht findet sich darüberhinaus auch noch jemand, der in diesem Forum den ersten Punkt oder das erste Komma macht.
Aber bevor es dazu kommt, wird der Ton ruppiger: „hat sporting nicht gerade benfica geschlagen....die­ sind doch erster in portugal. hat bayern nicht gerade­ gegen köln?!!!!!verloren.die sind doch wievielter in­ der liga? man man man,das gibt ja ordentlich einen auf­ den sack für den tollen klinsi und seine­ truppe.
ARSENAL RULES!!!“
Lassen wir mal außer Acht, dass „man man man“ vermutlich „Mann, Mann, Mann“ heißen sollte: Der Verweis auf Arsenal London ist nicht sachdienlich, denn die Mannschaft tritt in dieser Begegnung gar nicht an. Nach meiner Kenntnis wäre es auch das erste Mal, dass drei Mannschaften aufliefen. Allerdings gebe ich zu, dass dies interessante Auswirkungen auf die Geometrie des Fußballfeldes hätte. Anstoßpunkt in der Mitte, und dann drei Spielsektoren, sternförmig angeordnet. Das Wort „Spielhälfte“ hätte dann allerdings ausgedient und müsste durch „Spieldrittel“ ersetzt werden.
Übrigens scheine ich nicht der Einzige zu sein, der über so etwas nachdenkt, denn der nächste Kommentar haut in eben diese Kerbe: „türkei wird gewinnen :)“ Also, liebe FIFA, da ist konzeptionelle Arbeit gefragt. Frisch ans Werk!
Für andere ist dieses Theoriegefasel schlichtweg unverständliches Elfenbeinturmgemurmel: „Ich müsste eigentlich zu Bayern halten. Tu ich aber­ nicht! Die sollen einfach nur so richtig eine aufen­ sack kriegen“. So ist es recht: Die Gefühle müssen nach draußen. Leider erfahren wir nicht, warum dieser Kommentator eigentlich zu Bayern halten müsste, aber vermutlich müssen wir das auch nicht unbedingt wissen.
Und nicht alle wünschen den Münchnern Unglück, oder wie ist dies zu verstehen: „hopp bayern dass schafft ihr locker ich tipp auf 0:2“? Doch was soll’s, Vorhersagen sind ohnehin beliebig: „Bayern verliert und Klinsi kannst auch seine Koffer­ packen“, beziehungsweise „ich sage unenschieden“ oder „Bayern verleirt. Weil sie denken alle haben Angst vorm­ "GROßEN" FC Bayern. Hat aber keiner mehr.” Beim letzten Beispiel kommt ein wenig Wehmut auf. Da setzt tatsächlich mal jemand Interpunktion ein und nimmt An- und Abführungszeichen, wenn auch falsche, und denkt zudem über das ß nach, und dann schiebt er sich selber von der Rampe, indem er den deutschesten aller Buchstaben in einer Großbuchstabenumgebung verwendet, wo er eigentlich zum Doppel-s werden müsste. Dennoch wollen wir hier einen halben Punkt vergeben.
Endlich beginnt das Spiel, wurde ja auch Zeit: „Erste Abwehrschwächen bei den Münchnern... Sehr gut,­ der weg zur niederlage ist geebnet“. Klingt da Häme durch? Gleich der Konter: „Bayern weden gewinnen 1:3“. Hm, das hatten wir doch weiter oben schon mal so ähnlich?
Aber offenbar kommt es bei den Adressaten richtig an: „pass mal auf was du sagst Bayern wird­ gewinnen und basta“. Es gibt natürlich andere Meinungen: „hehehe der schwalbenkönig lucatoni lach hoffentlich­ verlieren die duselbrüder lach“, die sich durchaus ähneln können: „die sweine bayern müssen mal wieder richtich eine auf­ die mütze kriegen“.
Nach gut zwanzig Minuten Spielzeit sind Vorhersagen zum Spielausgang natürlich bereits einfacher. Und bedächtige Menschen mit einem Zugang zu Mathematik und Statistik warten selbstverständlich eine gewisse Zeit, bis sie ihre gründlich recherchierte Meinung kundtun: „entweder 0:0, 1:0, 0:1, 1:1, 2:1, 1:2, 2:2, 3:2, 2:3,­ 3:3, 4:3, 3:4, 4:4, 4:5, 5:4, oder 5:5, wenns ganz­ knapp wird, dann 6:5, 5:6, 6:6, 6:7, 7:6 oder 7:7“. Noch Fragen?
Aber selbst bei umfangreicher Gedankenarbeit können wichtige Aspekte übersehen werden: „bayern kann doch 10:0 verlieren egal abgerechnet wird­ erst nach dem rückspiel immer diese anti bayern haltung­ schafft erstmal das was dieser club erreicht hat wer­ hält den seit jahren die deutsche fahne in europa hoch­ das sind doch die bayern oder“. Irgendwie ist die Interpunktionssammlung offenbar tatsächlich verschollen, aber davon abgesehen, birgt diese Betrachtung trotzdem genügend dialektische Schärfe: „was willst du hässlicher Gartenzwerg denn?­ hat dich jemand gefragt ?“
Und wie man das häufig erlebt: Wenn der Reigen des dezidierten Meinungsaustausches erst einmal eröffnet ist, trauen sich auch andere, sowohl schelmisch als auch gehässig: „Die Bayern verlieren grins..grins“; „Ich bin absoluter Bayernhasser, aber international­ sollte man doch schon zu unseren­ "teutonischen" Mannschaften halten!!!“; „Wie kann man nur so Hirnrissig oder Saublöd wie manche­ hier im Forum reden. Wenn die Bayern gewinnen ist das­ nur gut für den Deutschen Fussball. Aber manche haben­ halt den Kopf nur zum fressen und dann sich über­ Fussball Unterhalten wovon sie nicht den Hauch einer­ Ahnung haben das ist sehr Traurig. Da sieht man erst­ wieviel Dumme Menschen hier in Deutschland rum laufen.” Chapeau! Da bringt es mal jemand auf den Punkt! Aber wer hört schon auf den einsamen Rufer in der Wüste? Nicht sehr viele: „bin gladbachfan darum müssen diese knödelfresser einen­ auf den sag bekommen nieder mit den münchner portugal­ toooooooooooooor“ Portugal? Ach so, natürlich: Sporting Lissabon spielt ja auch mit. Vermutlich jedoch chancenlos: „Bayern gewinnt 9999999999999999999999999999999999999999999999:1“.
Das wäre zumindest aus globalpolitischer Sicht ein Segen: „ja manche sind so dumm wenn bayern rausfliegt ist das­ schlecht für die uefa 5 jahrewertung“. Ein wichtiger Aspekt, den nur Unreife und Bornierte nicht teilen: „Kack Bayern“. Darauf gibt es nur eine Antwort: „Wer keine Ahnung, hat sollte diese lieber für sich­ behalten,
unglaublich was hier abgeliefert wird­ (kommentare) Ihr könnt zum Schussern gehen wenn Ihr­ keine Ahnung habt vom Fußball. Solche­ Typen...........tstststs......ich sags lieber nicht­ sonst werd ich eingesperrt”. Ja, das klingt nach einer wohl überlegten Entscheidung. Aber bei allem Disput müssen die Leistungsträger erst einmal in Vorlage treten, denn wenn sie das nicht tun, drohen gleich drastische Konsequenzen: „wenn das so weitergeht, werde ich hoffenheim fan.. so­ schlecht..“
Nun ja, wie gesagt: Es waren gerade mal 20 Minuten gespielt. Am Ende hieß es 5:0 für Bayern München. Die Begegnung Volksmund gegen Pisa endete übrigens 0:34.

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©2009 Julius Moll

Montag, 16. Februar 2009

Tresorsport


Haben Sie sich schon mal Gedanken um Ihr Geld gemacht? Ich meine: Ihr Geld zu Hause? Dieser Art der Geldaufbewahrung wenden sich im Zeitalter der Bankenpleiten ja immer mehr Menschen zu. Warum, in aller Welt, sollte man sein Geld irgendeiner Bank anvertrauen? Damit sie es arbeiten lässt? Womöglich in einem Fond der Lehman Brothers? Lassen Sie uns dies gemeinsam ins Reich der Scherze verweisen!
Also: Wie hebt man sein Geld zu Hause sicher auf? Nun, dafür gibt es natürlich Tresore, und zwar in fast jeder Preisklasse und Sicherheitsstufe. Wenn Sie einen solchen Tresor in Ihrem Heim installiert haben, steht fest: Die Einzigen, die diese Tür außer Ihnen öffnen könnten, sind Kriminelle. Menschen, die es auf anderer Leute Eigentum abgesehen haben. Wer sonst wäre darauf aus, sich derartige Fertigkeiten anzueignen?
Nun stieß ich kürzlich auf einen Zeitungsartikel, der eine deutsche Meisterschaft zum Thema hatte, und zwar die deutsche Meisterschaft der Sportfreunde der Sperrtechnik. Was harmlos euphemistisch daherkommt – wie beispielsweise Entsorgungspark (statt Müllkippe) oder kerntechnische Anlage (statt Atomkraftwerk) –, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Vereinigung von Menschen, die Sicherheitsverschlüsse öffnen: Türen, Fenster, Vorhängeschlösser, aber eben auch Tresore. Ist das nicht faszinierend?
Der Slogan lautet viel versprechend: „Ein Pickset in der Hand sicherer als das Geld auf der Bank“ (s.o.). Und weiter: „Die hohe Kunst des Schlossöffnens, der Fun-Sport mit Gefühl“. Fun-Sport. Das klingt lustig.
Beschlichen von einem unguten Gefühl – denn ich hatte soeben über 2000 Euro für einen Heimtresor investiert – mache ich mich mit der einschlägigen Sportliteratur vertraut. Hier die Highlights: ”Handbuch zur Schlossöffnung“ (Mitglieder im oben erwähnten Verein erhalten das Werk übrigens automatisch und kostenfrei zusammen mit der Aufnahmebestätigung!). Außerdem: „Geheimwissen Schlüsseldienst“. Hier hat ein Schlosser-, Schmiede- und Mechanikermeister mit 20-jähriger Berufserfahrung auf über 300 Seiten seine Erfahrung zusammengefasst. Besonders empfehlenswert: Es werden neben den üblichen Schlossöffnungsverfahren auch zerstörerische Maßnahmen erläutert. Im Begleittext wird darauf hingewiesen, dass sich das Werk ideal zur Ausbildung eignet. Das wird die Panzerknacker AG sicher freuen.
Ein weiteres Werk preist sich mit dem Untertitel „Nachschlüssel selbst gemacht!“. Da kann dann ja kaum noch etwas schief gehen.
Leider bin ich noch nicht dazu gekommen herauszufinden, ob es auch eine Sportgruppe Autozündschloss gibt, von einem Verein zur Verfeinerung des Serienmords ganz zu schweigen. Auch ein Interessenvertretung zur Karosserieumlackierung fände sicher Zuspruch. Ich persönlich würde mich beispielsweise sehr für eine Abendschule zur Perfektion der Zechprellerei interessieren. Damit könnte ich eine Menge Geld sparen.

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© Julius Moll