Sonntag, 15. Januar 2006

TV – oder was?


Kurz nach Zehn. Dieses frühe Aufstehen macht mich krank. Seitdem der Kurs der Telekom-Aktie dermaßen verfallen ist, fühle ich mich ohnehin nicht mehr so wohl wie früher. Wenn man auf dem Papier vermögend ist, lebt es sich einfach gediegener, als wenn man so am Existenzminimum herumkratzt. Aber immerhin klebt auf dem Fernseher noch kein Kuckuck, und bevor ich den ganzen Tag verplempere, werde ich mal schauen, was so im Fernsehen kommt.
Habe ich denn schon etwas Wichtiges verpasst? Tatsächlich, da, im WDR um 6.00 Uhr: „Deutsch. Faszination Literatur“. Um 6 Uhr? Donnerwetter, das nenne ich wirklich faszinierend. Ich bin um 10 noch keines richtig klaren Gedankens fähig, und dann um 6 schon die Buddenbrooks? Vielleicht habe ich die anderen Zuschauer bisher unterschätzt. Der Lernhunger in Deutschland scheint ungebrochen, vermutlich der Anlass dafür, dass auch auf anderen Kanälen Lernenswertes geboten wird.
Wie etwa auf N-TV (obwohl da immer der Telekom-Kurs unten durchläuft): „Zukunft und Technik: Wie funktioniert eine Dampflokomotive?“. Ich schaue verblüfft auf das Datum am Zeitungsrand. Doch, doch, es ist die Ausgabe von heute. Offenbar hatte ich die Entwicklung im Eisenbahnbau total verpennt – das mit den Dampfloks war mir so nicht klar. Ein solch zukunftorientiertes Thema muss eigentlich auch die @-Generation interessieren. Alles Technikfreaks. Aber mir ist das momentan zu mechanistisch – ich sähe lieber was mit Natur und so.
Wie etwa im WDR um 14.50: „Kleine Geschichten von wilden Tieren: Der Graureiher“. Mich fröstelt. Der Graureiher ist mir seit meinen Kindertagen als Sinnbild des wilden Tieres ins Gehirn gebrannt. Wenn er seinen fürchterlichen Schnabel mit den bluttriefenden Reißzähnen öffnet und dabei erschütternde Laute ausstößt, bevor er den nächsten unschuldigen Frosch in Stücke hackt – Horror pur!
Apropos Horror: Etwas in der Art scheint es auch bei PRO7 zu geben; um 15.00 Uhr mit Andreas-Türck-oder-so-ähnlich als Gastgeber: „Todgeweiht! Ich bin doch noch so jung!“ Tja, das hätte der Frosch dem im Blutrausch delirierenden Graureiher auch noch gerne zugequakt. Aber hier geht es zweifellos um Menschen. Und obwohl ich mich ungern einmische, muss ich doch bemerken: Wir sind alle todgeweiht, sobald wir geboren werden. Insofern ist dieses Lamentieren im Grunde überflüssig und langweilig. Nichts, was mich über Gebühr interessiert, wenn ich es recht bedenke.
Außerdem ist es erst kurz vor Elf. Was gibt es denn um diese Zeit noch alles Aufregendes?
Punkt 11 kommt auf SAT.1: "Deine Chance um 11". Ich bin tief beeindruckt. Diese konsequente Umsetzung der Tageszeit in den Titel der Sendung ist von geradezu erhabener Schlichtheit. Mitunter bewundere ich diese Fernsehleute ja doch wegen ihrer Einfälle. Das Thema allerdings – na ja: „Du hast mir ein Kind angedreht – heute zeige ich dir, dass ich nicht der Vater bin.“ Hm, wie will er das machen? Mit Hose runter und so? Das interessiert mich aus verfahrenstechnischen Gründen. Vielleicht sollte ich mir das doch mal ansehen. Na, eher reinschauen für ein paar Minuten, nicht ganz ansehen.
Im Öffentlich-rechtlichen wird der konsequente Betitelungsversuch ebenfalls unternommen, scheitert jedoch recht kläglich. SWR bietet nämlich ebenfalls eine Sendung namens „Um Elf“, aber die beginnt nicht um 11, sondern um 23 Uhr (vermutlich weil der Vormittagstermin von SAT.1 besetzt ist) und sollte daher eigentlich „Um Dreiundzwanzig“ heißen, was aber wieder recht lang und unhandlich klänge. Dann lieber zwölf Stunden zu spät senden. Hier geht es auch nicht um Vaterschaftswiderlegungen, sondern um „Kräuter, Kirche, Klosterleben“. Ebenso packende Themen wie bei SAT.1 eben. Schade, dass man dafür keinen früheren Sendetermin finden konnte.
Zumal um 23 Uhr auch „Bio“ auf Sendung ist, diesmal über psychisch kranke Straftäter in Eickelborn. Ich wusste gar nicht, dass Eickelborn so ein Schmelztiegel irrer Mörder ist. Man lernt eben nie aus. Als Gäste sind da: „Dirk und Guido (Straftäter in psychiatrischer Behandlung)“. Halt mal! Dirk und Guido? Das wäre ja …! Was waren das noch Zeiten, als wir gemeinsam … aber das gehört nicht hierher.
Doch ich bin schon wieder abgeschweift, rein zeitlich. Am Nachmittag könnte man ja auch was gucken. Vielleicht im WDR um 15.15 Uhr: „Der Platz war Zeuge (Wdh.)“. Hä? Der Platz? Welcher Platz? Na, vielleicht ein Druckfehler, und es soll eigentlich Platzeck heißen, wie der damalig zuständige Minister, und es werden noch einmal die dramatischen Bilder des Oder-Hochwassers von vor einigen Jahren gezeigt. Bei den momentanen Temperaturen vielleicht eine gute Sache. Da zappe ich mal hin: all die erbarmungswürdigen Kreaturen mit ihrem überfluteten Hab und Gut.
Ein solcher Thrill lässt sich anschließend wohl kaum noch steigern. Aber halt, was sehe ich da? „Einmalig!“ Sehr viel versprechender Titel. Aber dahinter in Klammern: (Wdh. v. So.). Wie enttäuschend! Manchmal fühle ich mich so müde. Und dafür gibt es Gott sei Dank im Ersten um 3.50 Uhr: „Bahnstrecken Deutschlands“. Eine Wohltat sondergleichen. Und wenn der Zug stehen bleibt, wird einem so schön schwindlig, weil das Wohnzimmer am Fernseher vorbei weiter fährt.
Doch bevor ich mir diesen visuellen Joint gönnen werde, muss ich noch mal beim WDR reinschauen, und zwar um 2.15 Uhr: „Hier und Heute – Die Hunde-Runde“. Vermutlich in alter Tradition mit 6 Kötern aus 5 Zwingern. Gastgeber ist Werner Köter. Prost zusammen! Und gute Nacht.

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© Julius Moll

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